Alle schauen zu und niemand hilft?

Stell dir vor, du siehst jemanden, der Hilfe braucht. Vielleicht jemanden, der auf der Straße gestürzt ist oder in der Schule oder im Internet von anderen schlecht behandelt wird.  Vielleicht denkst du dann: 'Irgendwer wird schon helfen.' Das denken aber viele … und am Ende hilft oft niemand. Und genau das ist der Bystander-Effekt!

Was ist der Bystander-Effekt?

Der Bystander-Effekt (auch Zuschauer-Effekt oder Genovese-Syndrom genannt) beschreibt das Phänomen, dass Augenzeug*innen eines Unfalls oder Übergriffs weniger oft eingreifen, wenn weitere Zuschauende anwesend sind.

Warum kommt es zum Bystander-Effekt?

Es kann verschiedene Gründe geben, die dazu führen, dass anderen in einer Notlage nicht geholfen wird.

  • Angst sich zu blamieren: Zum einen kann es sein, dass für den Zuschauenden nicht klar ist, wie dringend die Hilfeleistung ist. Aus Angst sich vor der Gruppe (der anderen Zuschauenden aber auch den vermeintlichen Täter*innen und Opfern) zu blamieren, wird geschwiegen.
  • Weil viele zusehen, wird der Notfall nicht erkannt: Wenn du eine Situation bemerkst, die dir komisch vorkommt, versuchst du die Dringlichkeit einzuschätzen. Wenn du mitbekommst, dass alle anderen nur zusehen, kann das dazu führen, dass du die Situation als nicht (so) schlimm beurteilst. Sonst hätten die anderen ja schon geholfen…
  • Keine Verantwortung übernehmen müssen: Wenn viele Personen einen Zwischenfall beobachten, weißt du vielleicht nicht genau, wer in der Verantwortung steht, zu helfen. Da ein Eingreifen Eigenengagement erfordert, entscheidest du, dass jemand anderes die Verantwortung übernehmen soll.

Was bedeutet der Bystander-Effekt für die Betroffenen?

Auch wenn die Gründe für den Bystander-Effekt möglicherweise nachvollziehbar sind … stell dir vor, wie es sich für die betroffene Person anfühlen muss! Versuche dich in diese Situation hineinzuversetzen: Du fährst mit dem Fahrrad durch die Stadt. Plötzlich bleibt dein Rad irgendwo hängen. Du stürzt und verletzt dich sehr stark am Bein, sodass du selbst nicht mehr aufstehen kannst. Du stehst unter Schock, alles blutet, dir ist schwindelig. Niemand hilft dir aber. Niemand fragt dich, wie es dir geht oder ruft einen Krankenwagen. Du siehst alle nur an dir vorbeigehen.

Solche oder ähnliche Situationen können auch auf Mobbingvorfälle, z.B. in der Schule, bezogen werden. Stell dir vor, du wirst von einer Gruppe auf dem Schulhof beleidigt, bedrängt und geschubst. Ein großer Kreis an Schüler:innen bildet sich um euch herum … alle schauen zu. Du willst einfach nur, dass die Situation endet. Doch niemand hilft. Und so wird die Situation Sekunde für Sekunde schlimmer. Würdest du dir nicht wünschen, dass jemand die Initiative ergreift und Hilfe holt?

Warum du den Bystander-Effekt durchbrechen solltest!

Vielleicht hast du im Ethik-Unterricht ja schon einmal von der „Goldenen Regel“ gehört:
 

“Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu”

Abgeleitet vom Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant

In diesem Fall bedeutet es also: Wenn du dir wünschst, dass andere dich in einer Notsituation unterstützen, dann handele genauso, wenn du eine solche Situation bei anderen bemerkst!

Was du bei Unfällen unternehmen kannst

Wirst du Zeuge oder Zeugin von einem Unfall in der Öffentlichkeit, dann musst du Hilfe anbieten. Tatsächlich ist es sogar gesetzlich so geregelt! Wer aktiv wegschaut und seine Hilfe verweigert, kann sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen. Das kannst du tun:

  • Setze einen Notruf ab. Unter der Telefonnummer 112 kannst du kostenfrei die Feuerwehr oder den Rettungsdienst benachrichtigen. Denke dabei an die 5 Ws: Wo ist der Unfallort? Was ist passiert? Wer ruft an? Wie viele Betroffene? Warten auf Rückfragen!
  • Sichere den Unfallort.
  • Bei akuten Situationen: Führe Erste-Hilfe-Maßnahmen durch. Dazu zählt beispielsweise die stabile Seitenlage oder die Mund-zu-Mund Beatmung, wenn der Betroffene bewusstlos ist. Wenn du noch keinen Erste-Hilfe Kurs hattest, prüfe, ob eine andere umstehende Person die Hilfsmaßnahmen durchführen kann.
  • Dem Betroffenen gut zureden. Wahrscheinlich steht die betroffene Person unter Schock. Rede der Person gut zu. Biete etwas zu trinken an. Warte bei der Person, bis der Rettungswagen kommt oder klar ist, wie weiter vorgegangen wird.

Was du bei Mobbing und Cybermobbing unternehmen kannst

Das kannst du tun, wenn du Mobbing in der Schule oder anderen Orten im „echten“ Leben bemerkst:

  • Hole Hilfe von erwachsenen Vertrauenspersonen: Das können beispielsweise deine Eltern oder Lehrkräften sein. Gerade in akuten Situationen (wie einer Schlägerei) ist das wichtig!
  • Unterstützung anbieten: Ist der Vorfall bereits passiert, kann es dem Betroffenen auch helfen, wenn du ein offenes Ohr und Unterstützung anbietest. Frage nach, wie du helfen kannst und was sich der Betroffene wünscht.
  • Gemeinsam Zeit verbringen: Auch das kann Betroffenen von Mobbing schon helfen, sich besser zu fühlen. So bemerkt man, dass nicht alle gegen einen sind!
  • Stellung beziehen: Schließe dich mit anderen zusammen und macht den Täter:innen klar und deutlich, dass so ein Verhalten (in eurer Klasse) nicht toleriert wird.

Wenn Mobbing im Internet stattfindet, ist alles etwas komplizierter. Doch auch hier solltest du helfen!

  • Melde unangebrachte Kommentare oder Nutzer:innen, die andere angreifen, bei der Plattform!
  • Kontaktiere die betroffene Person (per Nachricht oder noch besser persönlich) und frage, wie du helfen kannst.
  • Du kannst Betroffenen auch Hilfsangebote, wie die Nummer gegen Kummer oder Juuuport empfehlen.

Bystandereffekt? Nicht mit mir!

Es kommt also auf dich an! Wenn du siehst, dass jemand Hilfe braucht, warte nicht auf die anderen – sei selbst derjenige, der etwas tut. Schließlich würdest du es dir selbst in einer Notsituation auch wünschen.

Artikel vom 15.11.2024.